Aus den wüsten, dunklen Ruinen des zweiten Weltbrandes, da die Völker, gleichsam entkräftet und entnervt, nach Labung und Sicherheit lechzten, erhob sich ein Geschlecht, dem Fortuna zu lächeln schien, doch das bald in maßloser Überheblichkeit verderbte. Diese Generation, von sich selbst mit frivoler Selbstverkleinerung als Boomer tituliert, ist in Wahrheit das fatale Interregnum zwischen sakraler Tradition und kommender Katharsis, die pestilente Zwischenzeit der Unersättlichkeit, deren Vermächtnis nicht Segen, sondern Verwüstung sein wird.
Wohl selten hat eine Generation ihren eigenen Untergang so unbeabsichtigt und zugleich so exemplarisch inszeniert wie jene, die sich in selbstverliebter Lautmalerei Boomer nannte. In ihrem nomen onomatopoeticon liegt, etymologisch wie klanglich die Verheißung des Donners, des eruptiven Anfangs, ja des kosmogonischen Urknalls. Doch wider aller detonativer Semantik werden sie die erste und zugleich letzte Kohorte sein, die –unfähig zum Heroischen wie zum Tragischen– ganz geräuschlos, ohne geschichtsmäßiges Echo von der Bühne tritt.
Es gelang en passant die Alterspyramide, dieses seit den frühesten Polis-Gesellschaften stabilisierte Symbol der Generationskohärenz, in eine Travestie zu formen: einen Altersdönerspieß, welcher mehr architektonischer Karikatur als sozialer Ordnung entsprechend. Dieser Altersdämmerungsmoloch, der die Jugend als Zierrat betrachtet, erschuf sich ihre eigene Nemesis, und machte die Erhaltung des Massenalters zur Hauptaufgabe der nachfolgenden Generationen, während die Senioritätskohorten ein Übergewicht der Selbstreferentialität beanspruchen, das nicht nur physisch, sondern metaphysisch jeden Nachfolger kompromittiert.
Es war nicht der Krieg, der uns brach/ Sondern der Frieden danach
Sie sind die Generation, die sich als Schaffer der Nachkriegswelt inszeniert, als hätten sie Land verteidigt und aufgebaut. Doch in Wahrheit sind sie das erste Menschenalter ungetauft durch Leid, ungeschult im Opfer, welches sich dennoch ex cathedra so geriert, als ob ihr Lebensalter das Telos der Geschichte sei, nicht Episode, sondern Epiphanie, nicht Durchgang, sondern Vollendung. Doch bleiben sie letztlich nur eine Ansammlung an Schwellenknechten. Sie reden mit einer Schwere als wären sie die letzte gnosis, machten aber Kirchen zu Veranstaltungszentren –Rentnerseelsorge am Dienstag, 14 Uhr, sagt das schwarze Brett. Numinosität wurde gegen Kaffeeduft und Beamerlicht eingetauscht. Einmal liturgisch, nunmehr multifunktional. Was einst Sakralität hieß, ist nun Sozialarbeit und Freizeitangebot. Die Transzendenz verdampfte, die Immanenz triumphierte. Die Ersatzreligion wurde die Metaphysik der Schuld, begründete durch die ewige Litanei der mea culpa und Dogmabekenntnisse zur Boomertruth, um nie wieder in den Verdacht zu geraten, Geschichte zu machen.
Durch die permanente Wiederholung der Schuldmetaphysik wurde ein Tätervolk sui generis erschaffen, um diese Schuld als ureigenes Kapital und letzte Legitimation für moralische Überlegenheit, politische Immunität und soziale Deutungshoheit. Zu verwenden.
Degeneration
Phänomenologisch betrachtet erweist sich die De-Generation als eine Formation, die das ihr vorausgehende heroische Pathos des Wiederaufbaus substituiert durch eine hedonistisch fundierte Immanenzsteigerung, welche die Transzendenzdimensionen des menschlichen Seins (Ehe und Familie zur bloßen Option, Religion zur Folklore, Staat und Nation zu administrativen Floskeln) in sukzessiver Erosion auflöst. Die Boomergeneration ist somit das erste gesellschaftliche Aggregat, das die abendländische Tradition nicht prolongiert, sondern als Kapitalbestand systematisch verfrisst.
Als Ersatz konstruierten sie blind taumelnd in kultureller Amnesie ein Simulakrum, in dem Konsum, Medien, Musik, Freizeit zu einem pseudo-transzendentalen Kokon verschmolz, der alles unter dem Primat der Sicherheit, der Gefälligkeit, als Kultursubstrat subsumiert. Jede Innovation wird sterilisiert, jede Kreativität konditioniert, jede Subversivität eliminiert. Eine reine Konformitätsetikettierung nach Wohlfühlparametern, dessen Filterblase im Angesicht der neuen Emanationen wie eine Seifenhaut zerplatzt. Denn auch die FFP2-Masken, die sie devot vor ihre fremde Physiognomie banden und das Trugbild, das man Jahrzehnte im ZDF-Bilderbogen vorspielte, vermögen nicht, die miasmatischen Ausdünstungen der Geschichte zu bannen.
In zwanzig Jahren, wenn die Krankenhäuser überlaufen und die Sozialsysteme kollabieren, wird die letzte Wahrheit an sie herantreten. Keine romantische, keine pathetische, sondern eine technokratische Wahrheit. Ganz sachlich, ja fast kanadisch-höflich, wird die Krankenversicherung fragen, ob ein Suizid nicht kostengünstiger sei als das jahrelange Dahinsiechen.
Die Boomer werden erleben, dass ihre letzte Instanz nicht Gott, nicht Philosophie, nicht Geschichte ist – sondern das Sozialamt. Ratio contra mythos. Ein finaler Zynismus: dass die Gesellschaft, die sie geformt haben, sie selbst als Kostenfaktor eliminiert.
Chronos ist der einzige Henker, der keine Gnade kennt