Poesie und Macht

„Schicksal, Fügung, Verhängnis, Tat, Kuss, Rausch, Erfüllung.“ Wer am Zauber der deutschen Sprache zweifelt, sollte jedes dieser Wörter einzeln aussprechen – wie ein Klöppel, der langsam gegen eine große Glocke schwingt.

Beim Nachdenken über ein Volk, das keinen Gott, keine absolute Wahrheit und keine bedingungslose Schönheit mehr kennt, dass im Sinne der an seinen Universitäten gelehrten Philosophie, das letzte, sinnstiftende transzendentale Zeichen verworfen hat, mutet es geradezu witzig an, dass der Fortbestand des eigenen Volkes auf Basis eines Textes, nämlich des Grundgesetzes, zum verfassungsfeindlichen Ziel erklärt werden konnte.

Zugrunde liegt dem eine der modernen Marktwirtschaft entnommene Vorstellung: Ein Wort gliedere sich auf in Signifikant und Signifikat; zusammen bilden diese beiden nach Saussure ein sprachliches Zeichen, wobei die Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat genauso willkürlich den Marktgesetzen unterworfen ist wie die Frage, welchen Geldbetrag ich für eine Ware bezahle.

Und so ist in der postmodernen Welt bei diesem Taschenspielertrick die Wahrheit gegen eine Lüge eingetauscht worden. Denn da ist manchmal doch noch der Schauer, den wir einst verspürten, als wir der menschlich scheinenden Maschine, gespielt von Rutger Hauer, im Film Blade Runner lauschten:

„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben.“

Und man sollte sich fragen: Waren dies am Ende nur die Signifikanten einer Maschine – und der poetischste Moment der Filmgeschichte nicht mehr als der Blick ins Nichts? Verhält sich entsprechend das leere Spiel der Signifikanten wie der Pornofilm zur echten Liebe?

Wir zumindest können dem postmodernen Menschen getrost seinen Signifikanten-Porno lassen, denn das gibt uns Gelassenheit in einer Welt, in der für die mächtigen Verbreiter sprachlicher Zeichen kein Wort eine verbindliche Bedeutung besitzt. Doch gleichzeitig wissen diejenigen, die hinhören, mehr.

Sind Worte wirklich leer?

An erster Stelle ist schon alleine die Vorstellung eine Kastration der Sprache: Ein Wort sei nicht mehr als Geld und Ware, als Signifikant und Signifikat. Nicht umsonst waren die ersten überlieferten Worte in deutscher Sprache Zaubersprüche: „insprinc haptbandun, inuar uigandun“, heißt es – und selbst wenn diese althochdeutschen Worte dem einen oder anderen heute nicht mehr klingen mögen, weil wir taub geworden sind, gibt uns X-Nutzer „Tragischer Archetyp“ genügend andere Beispiele:

„Schicksal, Fügung, Verhängnis, Tat, Kuss, Rausch, Erfüllung. Worte sind Magie, arm, der das nicht erfassen kann.“

Jedes dieser Wörter klingt nach. Wer am Zauber der deutschen Sprache zweifelt, sollte jedes einzeln aussprechen – wie ein Klöppel, der langsam gegen eine große Glocke schwingt – und dann dem Klang lauschen. Mit etwas Glück wird ihn die deutsche Sprache sanft wachküssen.

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