Im Jahr 2020 präsentierte der Österreicher Amro El-Tetawy sein Debüt Unicorn House. Der Film verknüpft die Ästhetiken von Psychedelia und Punk, die Theorien von Hegel und Freud, und er begründet etwas, das eine Praxis der Metaphysik genannt werden kann. Anschließend wurde El-Tetawy von Michael Haneke angezeigt. Polizisten verhafteten ihn auf offener Straße. Er zog sein Werk freiwillig zurück. Fünf Jahre lang blieb Unicorn House unter Verschluss. Aber dazu später mehr.
Bislang manifestierten sich die Praxen der Metaphysik des Films vordergründig in den Werken einzelner Ikonoklasten und Avantgardisten (Bresson, Ozu, Dreyer, Schrader, Haneke, Seidl, von Gönitzer). Paul Schrader legt in Transcendental Style in Film das vielleicht akkurateste Diagramm einer Bewegung vor, die von einem Ausgangspunkt der Narration N in alle Richtungen flüchtet. Um diesen Ausgangspunkt N schließt sich der Tarkowski-Ring. Er trennt die Filme des Transzendentalen Stils innerhalb des Rings von jenen des Slow Cinema außerhalb des Rings. Tarkowskis Werk ist für Schrader eine Schnittstelle. Die Filme des Transzendentalen Stils sind enger an die Narration gebunden als die des Slow Cinema. So zeigt Robert Bresson, der als Hauptvertreter des Transzendentalen Stils verstanden werden kann, ein Haus vielleicht noch acht Sekunden lang, nachdem eine Figur es betreten hat. Diese Sekunden der Leere oder des Stillstands haben sich bereits vom narrativen Punkt N emanzipiert, sie sind aber noch innerhalb des Tarkowski-Rings. Dagegen zeigt Andy Warhol ein Haus acht Stunden lang, und es wird weder betreten noch verlassen (soweit ich sehe). Das Slow Cinema ist eine intensivierte Form(alästhetik) des Transzendentalen Stils, und der Tarkowski-Ring ist mehr ein weicher Übergang als eine harte Linie oder tiefe Bruchstelle.
Was den Transzendentalen Stil transzendental macht, ist die Reduktion aller nicht-filmischen Elemente zum Zweck der Offenbarung des Filmischen (und potenziell anderer transzendentaler Entitäten). Film konstituiert sich aus Einzelbildern (gemalt, fotografiert oder anderweitig generiert), aber Film ist nicht Fotografie oder Malerei. Film kann Musik und Schauspiel integrieren, ohne dabei Musik oder Schauspiel zu sein. Was Bresson zu schaffen versuchte, waren Bilder, die so wenig Bild wie möglich sind. Er verbot seinen Schauspielern zu spielen und nannte sie Modelle. Der Film war für ihn zwischen oder jenseits seiner materiellen Beschaffenheit, und durch die Reduktion dieser Beschaffenheit sollte er zum Vorschein gebracht werden. Transzendentaler Stil meint Askese, meint Keuschheit der Form (und er lässt sich auch in anderen Kunstgattungen wiederfinden, z. B. im Choralgesang, in byzantinischen Ikonen und den Zeichnungen buddhistischer Mönche).
Unicorn House überschreitet die Reduktionen Warhols und Bressons, und er überschreitet seine eigene Materialität. Gleichzeitig kehrt er ins narrative Zentrum N zurück. In Schraders Diagramm wäre er ein Tetawy-Ring-Punkt, der (ein bisschen im Sinne einer Verschränkung) wiederum ein Ganzes ergäbe

Außerhalb des Tetawy-Ring-Punkts sind Szenen, die nur virtuell existieren. El-Tetawy dreht Szenen zum Zweck ihrer Zerstörung, und ihr Zerstörtsein erfüllt narrative Funktionen.
So handelt Unicorn House dann auch von einem weißen Einhorn und einem schwarzen Affen, die sich gegen ein schwarz-weißes Einhorn verschwören. Die Figuren stehen selbstredend für Freuds Triade: Ich, Über-Ich und Es. Der Film kulminiert in einer Kastrationsszene, in der das Ich ihren Bruder entmannt. Diese lange Plansequenz wurde aus dem Film gekürzt, um Hegels Aufhebung der Aufhebung auf Freuds Kastration anzuwenden (ein philosophisches Projekt, dessen Fruchtbarkeit an anderer Stelle evaluiert werden muss).
Diese Kastration der Kastration verändert das Narrativ des Films. Wäre die Szene aktual, so wäre die Geschichte eine andere. Das Ich hätte dann ihren Bruder verstümmelt, und die Abwesenheit der Verstümmelung wäre verloren. Insofern liegt die Szene eng am Knotenpunkt N. Zugleich ist sie gänzlich außerhalb des Diagramms, bezieht sich dieses doch auf aktuale Filme und Szenen.
Unicorn House ist vielleicht der erste Film, der Hegels Aufhebung zum Formprinzip erklärt. Was er ist, ist in ihm so sehr wie das, was er nicht ist. Aktualität und Virtualität sind gleichwertig und gleichgestellt. Anders gesagt: Ein Mann geht ins Kino und fragt nach einem Film ohne Vergewaltigungsszene. Das Kino zeigt aber nur Unicorn House.
El-Tetawy wurde vom vielleicht prominentesten zeitgenössischen Vertreter des Transzendentalen Stils angezeigt. Vorgeworfen wurde ihm Wiederbetätigung, denn in Unicorn House erscheint ein Hakenkreuz, unter dem das Ich DMT raucht. Mit Hegel gedacht, wehrt sich in Haneke die bressonsche Schule (unbewusst den Weltgeist über sich hinwegstampfen fühlend) gegen die neuen Metaphysiker. Die Anzeige wurde schließlich fallen gelassen, Unicorn House ist endgültig veröffentlicht, El-Tetawy arbeitet noch immer als Pizzabote – und wenn man in Klagenfurt ist, kann man sich von ihm beliefern lassen. Die Geschichte (Hegels und Napoleons) wiederholt sich dann (als Farce).