Es gehört zu den besonderen Fertigkeiten eines Schriftstellers, wenn er seine Persönlichkeit und seine Herkunftsgeschichte mit seinem Werk verbindet. Der Verleger, Intellektuelle und Mäzen Caspar von Schrenck-Notzing würdigt mit der titelgebenden Anspielung “Schwere Wetter, schwere Reiter“ auf kryptische Weise seinen Vater Gustav, den er mit 16 Jahren verlor, und liefert in diesen Worten einen wichtigen Schlüssel zu seiner Familiengeschichte. 1915 wurde das Königlich Bayrische 1. Schwere-Reiter-Regiment, dem Gustav Schrenck-Notzing angehörte, vom Stellungskrieg an der Westfront in den Osten verlegt. In den darauf folgenden blutigen Jahren wurde das Regiment regelrecht zusammengeschossen, bis es 1919, nach seiner letzten Verwendung als Besatzungstruppen in der Ukraine, nach Bayern zurückgeführt wurde und der um sich greifenden Demobilisierungswelle zum Opfer fiel. Neben den Hintergründen zum Titel finden sich auch in der Hauptfigur Tryphon Karbunkel charakteristische Eigenschaften, die der Herausgeber Alexander Eiber der Person Caspar von Schrenck-Notzing zuordnet. Es handelt sich hierbei also nicht nur um ein Fragment eines Kriminalromans, sondern um eine bewusste und persönliche Verewigung des Autors in seinem Werk.
In der Erzählung hat sich der in der Welt der Spione verwurzelte Reichsfreiherr von und zu Tryphon Karbunkel, nach einer steilen und durch die Öffentlichkeit kaum bemerkten Karriere, ins diskrete Starnberg zurückgezogen um dort ohne persönliche Aufregung seine Ruhestand verbringen zu können. Wie ”die Katze das Mausen nicht läßt“, hat er zwei Büroräume mit der Aufschrift ”Internationale Nachforschungen“ angemietet, von wo aus Karbunkel seine Geschäfte führt und mit der Sekretärin Fräulein Steigleder die anfallende Korrespondenz erledigt. Die Vorzeichen zu diesem verdient ruhigen Leben ändern sich, als der Spion im Ruhestand auf den zugezogenen und amerikanisch ausgesprochenen S.W. trifft und klar wird, dass ihre Wege sich bereits in der Vergangenheit gekreuzt haben. Nach einem kurzen Aufenthalt auf Capri ereignet sich am Berger Bismarckturm ein Mord. Dem Toten wurde ein Stilett “durch die Rippen gestochen, einmal umgedreht und wieder herausgezogen”. Die Tat scheint geplant und darüber hinaus von einem Profi ausgeführt worden zu sein.
Der Wermutstropfen dabei: “Schwere Wetter, Schwere Reiter“ ist ein Fragment geblieben und die Erzählung bricht bald nach der Tatbeschreibung ab. Dafür ergänzt der Herausgeber das Bändchen mit einer starken ”Kurzbiographie“, die Casper von Schrenck-Notzings Lebens-Leitmotiv herausstellt, welches sich schon während seiner Zeit in der Hitlerjugend offenbarte: die Ablehnung von allen kollektivistischen Ideen, welche der Politologe und von-Schrenck-Notzing-Forscher Eiber sogar als “Verachtung“ charakterisiert und aus der sich zwangsläufig und unmissverständlich die Ablehnung des Nationalsozialismus ergibt, welcher mit seinem Universalismus alle Lebensbereiche einengte. Aus dieser Haltung entstand auch die Zeitung Criticón, welche der Parole ”Der Geist steht links“, ein konservatives Korrektiv entgegensetzte.
Sir Arthur Conan Doyle wusste zu bemerken: “Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits im Netz hat, bevor sie das Netz um sie herum webt“. Caspar von Schrenck-Notzing hat sein Spinnennetz begonnen, nun ist es an dem Leser, diese Erzählung weiterzuweben und, viel wichtiger, weiterzudenken. Ähnlich wie der Konservative den Staffelstab an die nächste Generation weitergibt, um die Arbeit am bestehenden Überzeitlichen fortzuführen, ist es an uns, aus diesem Fragment etwas aufzubauen, denn das geistige Fundament, auch über das Werk hinaus, ist vom Autor bereits gelegt worden. Diese Art des Denkens führt Eiber in seinen einordnenden Texten aus, die der Verlag dankenswerterweise nicht als Vor- oder Nachwort deklariert, sondern in eigenständige Kapitel “Zur Erzählung“ und “Über den Autor“ unterteilt. Für ein herkömmliches Vor- oder Nachwort im Sinne des Wortes zum Geleit steckt in diesen Kapiteln zu viel an Analyse und Einordnung.
Politische Fragestellungen, wie man es beim Namen des Autors, einem prägenden Gestalter des deutschen Nachkriegskonservativismus, vermuten würde, sind nicht offensiv angelegt und scheinen, wenn überhaupt, nur am Rande durch, wo sie von einer zurückhaltenden aristokratischen Geisteshaltung zeugen. Von Schrenck-Notzing stellt stattdessen solche Gewohnheiten heraus, wie dass man sich in den Starnberger Villen offiziell lieber nicht kannte, als etwas von der Diskretion preiszugeben und damit einzubüßen. Die Zugehörigkeit, an welcher Uferseite der Bewohner heimisch ist, denn das Ostufer ist von der Außenwelt abgeschlossen, “während die Westuferbewohner der Zivilisation und damit dem sicheren Untergang anheimfallen“, nimmt ebenfalls eine wichtige Perspektive ein und führt zur Frage, wie viel Identität möglich ist, wenn die Heimat vom Tourismus überlaufen wird.
Alexander Eiber und dem Karolinger Verlag gebührt große Anerkennung, dass sie im kulturkonservativen Sinne dieses Romanfragment aus dem Nachlass von Caspar von Schrenck-Notzing entnommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Sie führen die Tradition fort, für die Schrenck-Notzing einstand: sich an den Wurzeln orientieren, damit aus ihnen, wie hier literarisch, neue Werte wachsen, die die Zeiten überdauern mögen. Diese offene und historisch wertvolle Kriminalnovelle setzt einen Gegenpunkt zu einer öffentlichen Wahrnehmung, in der Kriminalliteratur wie die Romane der “Miss Merkel“ Reihe zu öberflächen Klamauk verkommen oder sich Leser an blutrünstigen Motiven delektieren, und führt zu dem elementaren Kern zurück!
Caspar von Schrenck-Notzing: “Schwere Wetter, Schwere Reiter“, herausgegeben von Alexander Eiber, 2024 im Karolinger Verlag erschienen. 109 Seiten, 19,-€