Faschistisch oder Melancholisch?

Auf literarischer Ebene sind “Die Lichter des Dorfes“ Vergrößerungsgläser, die sich in der ausgeprägten Beobachtungsgabe und Symbolik allenfalls in Gabriele D‘Annunzios Roman “Das Feuer“ finden lassen.

In seiner monumentalen Romanreihe “M“, die den Aufstieg und Fall Mussolinis beleuchtet, charakterisiert Antonio Scurati den faschistischen Politiker Alessandro Pavolini, den Autor von “Die Lichter des Dorfes“, als einen Mann mit rabenschwarzen Haaren und Augen. Sein stechender Blick scheint den Parteiapparat unterworfen zu haben, denn nach seinem Amt als italienischer Minister für Volkskultur und dem Sturz des Regimes war Pavolini in der gegründeten Republik von Salò Parteichef der Republikanisch-Faschistischen Partei. Die Äußerlichkeiten scheinen den Charakter widerzuspiegeln, wenn der geneigte Leser die Mussolini-Biographie von Hans Woller mit Verweis auf den Faschismus-Experten Arrigo Petacco zur Hand nimmt. Pavolini war jemand, der als eine Art „faschistischer Jakobiner“ angesehen werden kann und mit bestialischer Härte den Schauprozess gegen die Abtrünnigen des Großen Faschistischen Rates organisierte, die in der Sitzung vom 24. bis 25. Juli 1943 Mussolini absetzten.

Mit diesem Hintergrundwissen liegt die Vermutung nahe, dass Pavolinis Erzählungen im Band “Die Lichter des Dorfes“ ein „In Stahlgewittern“ des Grauens darstellen. In ihnen weisen Leichenberge – diesmal nicht der an Ehren gleichwertigen Soldaten, sondern des würdelosen und entmenschlichten politischen Gegners – die Orientierung zur sicheren heimischen Stellung. Ringt sich der Leser durch und nimmt den mit reichlich Attributen versehenen Band zur Hand – unter ihnen wird garantiert „faschistisch“ fallen –, erschließt sich ein breites Panorama: In der dem Band den Namen gebenden Erzählung erscheint Filippo in einem typisch italienisch wirkenden Dorf. Gekleidet in einem Gabardinerock mit aufgeschlagenem Kragen und weißem Besatz, umgibt ihn eine militärische Aura. Er und seine Männer machen einen Rundgang durchs Dorf und kehren in ein Lokal ein, in dem eine blutrote Versammlung tagt. Es ist eine Atmosphäre, in der eisiges Schweigen herrscht und die mit den Erfahrungen der politischen Unruhe jederzeit mit einem Flaschenwurf oder Revolverschuss eskalieren könnte. Die Lichter im Dorf erlöschen, die Bewohner lachen. Wenig später stellt sich heraus, dass der Gewerkschaftsfunktionär und despotische Herrscher des Dorfes, gegen den sich die Bewohner ohne Hilfe von außen nicht behaupten können, hinter der regelmäßig stattfindenden Verdunklung steckt und in diesen Momenten zu seiner Geliebten schleicht. 

Das unsichtbare Band, das alle Erzählungen zusammenhält, ist keine Ideologie oder gar der Faschismus, der in den Erzählungen “Die Lichter des Dorfes“ und “Das ganz schwarze Hemd“ politisch identifizierbar in Kleidung und militärischer Haltung am stärksten zu Tage tritt. Es ist die atmosphärische Melancholie, in der die Figuren und die Handlung beschrieben werden, und es scheint, als wüssten sie – allen voran der Autor –, welche Umbrüche die nahe Zukunft für sie bereithält. Der Rückzug auf das sichere Ich in einem überschaubaren Umfeld, in dem der unruhigen Weltläufigkeit Ruhe und Beständigkeit entgegenstehen, liegt nahe. Es sticht der Erzähler hervor, der an den Läufer Niccolò denkt und ihn während seines ihn prägenden Sportes wehmütig beschreibt. Der Diplomat und seine Begeisterung für Hemingway, Faulkner, Malraux und Dos Passos wirken in ihrem Überschwang propagandistisch, und je näher der Betrachtende sich dem Gegenstand annähert, desto mehr artet dies in eine Zügellosigkeit aus, wie sie den russischen Volkstänzen und Gesängen zugeschrieben wird. Ein Rausch, der als Weltflucht und Suche nach innerem Ausdruck gelesen werden kann, aber eine gewisse melancholische Komponente in sich trägt – eine, die nicht als lähmende Depression gelesen werden kann, sondern in ihrer Eigenschaft jede Erzählung und das damit verbundene Gefühl melancholisch konserviert.

Auf literarischer Ebene sind “Die Lichter des Dorfes“ soziale Vergrößerungsgläser, die sich in der ausgeprägten Beobachtungsgabe und Symbolik allenfalls in Gabriele D’Annunzios Roman “Das Feuer“ finden lassen, obwohl dieser 1900 und damit deutlich früher veröffentlicht wurde als Pavolinis Band. Im Kontext der Intensität ist es verwunderlich, dass die Erzählungen im deutschsprachigen Raum zwar mit einer Gesamtauflage von bis zu 40.000 Exemplaren vertrieben wurden, aber eine literaturwissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung bis heute nicht erfolgte. Eine Publikation unter diesen Vorzeichen wird das klassische Feuilleton – wenn es sich überhaupt dazu durchringt, sie wahrzunehmen – und es der unspektakuläre Inhalt, abseits der hohen literarischen Qualität, eigentlich nicht zulässt, kaum als Provokation werten. Das Dogma der Trennung zwischen Werk und Autor mag zwar im literaturwissenschaftlichen Rahmen funktionieren, findet in der öffentlichen Auseinandersetzung aber bedauerlicherweise keine Anwendung. Diese Erzählungen werden ein Beispiel dafür sein, wie der Biographismus, der Ort der Veröffentlichung und die Tatsache, dass dem Werk überhaupt Raum gegeben wird, über eine textgebundene Auseinandersetzung hinwegtäuschen – wie es der Poststrukturalist Roland Barthes in “Der Tod des Autors“ idealerweise fokussierte. Denn Texte entwickeln unabhängig ihrer Umstände ein Eigenleben, und am Ende zählt eben nichts mehr als der einzelne Text! Die gesellschaftlich prägende Norm verdrängte mit “Die Lichter des Dorfes“ ein exzellentes Werk, das bislang nur unter der Hand kursierte – nun aber bietet sich die Möglichkeit, es breiter, selbstverständlich in seinen Ausprägungen kritisch, zu diskutieren. Für diese Diskussion muss Raum geschaffen, vielleicht sogar erobert werden!

Alessandro Pavolini: “Die Lichter des Dorfes“, italienische Originalausgabe “Scomparsa d’Angela“ (1940), 2025 im Verlag Antaios erschienen. 152 Seiten, 22,-€

Weitere Beiträge

Die 10 besten Spielfilme des Jahres. Absolut repräsentativ. Nur europäisch. Jenseits der Massenbespaßung.
Oft durch Zufall erhalten, hier und da gezielt reingehört. Liste der für uns 10 besten Musikalben des Jahres. Absolut jenseits jeder Repräsentanz. Mit griechischem Maß gemessen. Liste der Wenigen.
(„[…] adjective : characterized by the sensationalistic depiction of violence especially : featuring a real rather than a staged murder | snuff movies (Merriam-Webster)“)
Die unzähmbare Ironie von One Battle After Another
The hold of the pipe is already established; interest, duty, affection, reputation—all prove too feeble to arrest the downward career of the smoker.
Um 22:00 Uhr fährt der Zug zurück nach Berlin und die damit einhergehenden Belanglosigkeiten wie Kofferpacken, mit dem zerrinnenden Geld eine letzte Mahlzeit zu sich nehmen und den Weg zum Bahnhof einschlagen wirken wie ein Aderlass und das Gefühl, als würde das Leben aus einem herausfließen, und der Anspruch, noch
Wiederbetätigung und Metaphysik
Martin Mosebach zeichnet in Die Richtige das Porträt eines Malers, dessen Suche nach Schönheit zur moralischen Grenzüberschreitung wird. Ein feinsinniger, aber illusionsloser Blick in die Welt der Kunst und derer, die von ihr leben.

Beiträge anderer Kategorien

Und wie man der Leere Herr wird.
Aus dem Drang wird erst dann ein Wille, wenn man sich dieser Mechanismen bewusst ist. Der Drang zur Tat trägt für sich genommen keine Tiefe in sich; er wird getragen von einem Gewissen der Notwendigkeit – der Notwendigkeit von Veränderung und Klarheit.
»Mitnichten. Wir, die Starken, sollen die Erde erben. Sieh nur! Sie hängen am Kreuz und wir haben sie aufgehängt. Das beweist grundlegend unsere Überlegenheit.«
Beugt Magna Mater Dich sanft ins Joch Bleibt Krieg der Vater der Dinge doch.
We crush our physical mass, willingly, into a shell presupposing its own existence into the digital, shocked not by anything that unsettles our core but by that which propels it out of the digital “experience.”
Das Testosteron schießt mir von Adrenalin begleitet durch die Adern und meine Augenlider reißen sich dem Himmel und der Erde entgegen. Den Schrei, nicht durch die Ohren, sondern durch das Blut habe ich vernommen und kein Zurück gibt es jetzt noch.
Doch er stirbt nicht für mich – Denn ich habe ihn satt. Er stirbt nur für sich selbst Und für Heyms Gott der Stadt
1996 forderte Peter Handke „Gerechtigkeit für Serbien“; 1999 ereilte Serbien die Gerechtigkeit: aus 10.000 Metern Höhe, nächtlich, hell-leuchtend, wohlverdient.