Zwischen Welten

Erinnerungen an ein ehemals bewohntes und blutdurchströmtes Haus.

Für Mark Rossell und Thomas Ligotti


1. Die neue Dunkelheit (Landung)

Die neue Dunkelheit
ist anders als die alte Dunkelheit
größer
sanfter
kälter
sie kommt auf leisen Sohlen
erstreckt sich kopfabwärts
in Tiefen
die wir am Himmel wähnten

Die neue Dunkelheit
suchen wir
auf Berggipfeln
auf Türmen
in Waldhainen
vergeblich
dabei bräuchten wir nur der Weichheit unserer Schritte
lauschen
und fänden sie
ganz nah

Die neue Dunkelheit
bewegt nichts
verändert nichts
will nichts

ist nichts
was uns erschreckt
oder nachdenklich macht
oder auch nur ein Sehnen stiehlt
oder schenkt

Die neue Dunkelheit
braucht uns nicht
liebt uns nicht
hasst uns nicht
beobachtet uns nur mit augenloser Freundlichkeit
überlässt uns
uns

Die neue Dunkelheit
ist eingeschrieben in
Papier
Fleisch
Metall
und lässt sich doch nicht
lesen
aufspüren
erhellen
auch nicht im Tausendsonnenlicht
unserer eigenen
paradiesischen
Blindheit

2. Die neue Stille (Ende)

Die neue Stille
ist anders als die alte Stille
grenzenlos
allumfassend
großartig
sie breitet sich aus
im Erdreich
im Holz
in den Blicken an den Rändern
im Lächeln, in Tränen getaucht

Die neue Stille
lässt uns warten
auf Telefonanrufe
Wecksignale
Liebesschwüre
Offenbarungseide
das Rauschen unseres Blutes
oder wenigstens das der anderen
Nachahmungen: Erinnerungen
an ein ehemals bewohntes und blutdurchströmtes Haus

Die neue Stille
lässt uns sprechen
in der Sprache der Stille
in der Grammatik der Stille
im Widerhall der Stille
im Atmen der Stille
in den dröhnenden Chören der Stimmen der Stille
laut wie nie zuvor
als hätte es davor nichts Lautes gegeben

3. Der neue Traum (Aufbruch)

Der neue Traum
ist anders als der alte Traum
frei von Zeit
Begehren
Hoffnung
Versprechen
er erhebt sich
zwischen Knochen
Kreuzrippen
kanopischen Krügen
in den ausgedehnten Landschaften menschlicher Architekturen

Der neue Traum
umfasst Bild
und Trugbild
Stern
und Spiegelung
Gewissheit
und Ahnung
dehnt sich um sich selbst
umarmt Träumer und Traum

Der neue Traum
löscht die Tiefe aus
kippt die Höhen herab
verströmt sich in der Leere dazwischen
vorbei an
Bankrotterklärungen
Beichten
und gefälschten Büchern
gewährt
einzig die Sicherheit
der Unsterblichkeit
im erstarrten Harz
eines da gewesenen
göttlichen
und betrügerischen
Augenblicks


Eine Vertonung von „Zwischen Welten“ unterm Titel „Between States“ durch Natascha Schampus feat. Thomas Fröhlich erschien 2016 auf dem Sampler FROM VIENNA WITH LOVE (Klanggalerie).

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