Ich liebe alles, was sie wollen; ich wünschte nur so sehr, ich könnte es wollen wie sie. Der Himmel ist das Wollen von Anderen. Das ist das Etwas, vielleicht das Einzige überhaupt.
Wach zu sein ist nicht dasselbe, wie sich zu erinnern. Irgendwo zu sein, ist nicht dasselbe, wie daheim zu sein, und zu bluten ist kein Lebenszeichen. Bis auf das Letzte bin ich mir nicht sicher, ob irgendwas davon auf mich zutrifft. Trotzdem ist Leben unblutig nicht denkbar. Es ist hartnäckig, trocken und kaum zu vergessen. Es sollte nirgendwo sein, außer in einem Gedicht. Es ist verschwendet an uns, die überfordert von etwas wahrlich Lebendigem sind. Wohin ist es, wenn davon auf dem Boden nur noch schwarze Krümel und Staubperlen in einem ungelüfteten Zimmer sind?
Ich bin’s, immer noch. Seit einer langen Zeit. Die Wohnung ist nicht dreckig, ich habe sie kaum benutzt und noch weniger bewohnt. Aber in den Ecken der weißen Zimmerwände blüht ein leichter Busch von Haaren und Staub. Und noch kleineren Dingen, die kaum zu erkennen sind. Seit einer langen Zeit. Dabei: Ein Zug, der draußen auf einem Gleis kreischt. Er verändert das Schattenspiel, das durch das Zimmerfenster auf mich am Boden scheint.
Es gibt nur wenige Tage, an denen ich mir die Frage nach meinem Einkommen stelle – auch wenn es bezeichnend ist, dass ich direkt darauf zu sprechen komme. Es ist nichts Unedles daran, zu betteln, vielleicht ist es sogar etwas Edleres als zu stehlen. Aber es ist nichts Einfaches, ohne ein Lächeln zu betteln – nicht aus Heimtücke über das bisschen, das aus der ehrlichen Tasche des ehrlichen Mannes fließt, sondern aus aufrichtiger Liebe. Er ist geliebt von mir und von seiner eigenen Güte überzeugt. In Wahrheit benötigt er Menschen wie mich, und er bedankt sich beinahe, als er mir einen kleinen, zerknitterten Schein in die Hand drückt.
Ohne den Tod, den Hungertod meinetwegen, ist die Liebe blutleer. Zugegeben, all das geschieht in den Zeiten zwischen Wohnungstür und Hinterhof, und sie ist nicht zu vergleichen mit echtem Elend, meine Liebe.
Es ist die Frage nach der Uhrzeit zu stellen. Und sie ist eine seltsame Sache, da sie immer lügt und nie ausdrücken kann, was sie wirklich sagen möchte.
Ich kenne sie nun seit einigen Monaten, aber auch das ist ein seltsamer Umstand von wenig Konsequenz. Sie kennt mich unter dem Namen, unter dem mich mein Vater kennt, doch ich erinnere mich nicht immer an diesen Namen und noch weniger immer gerne. Er erstickt unter den pochenden dunklen Flecken an meinem Körper und den heulenden Maden, die ich jede Nacht unter meiner Haut spüre. Nein, Blut ist kein Zeichen von Leben, aber nichts ist lebendiger als das, was unter der scheintoten Haut der Gestalt liegt, die gerade vor ihr liegt.
Von allen kleineren Dingen, die kaum zu erkennen sind, ist sie einer der liebsten Anblicke innerhalb meiner Zimmerwände. Es ergibt sich ein Umstand, in dem sich ihre Stimme mit dem Schattenspiel der Züge hinter dem Fenster vereint. „Du hast mich eingeladen.“ Zu dieser Uhrzeit fahren viele Züge. „Und ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, warum überhaupt.“ „Ich wollte gesehen werden“, erkläre ich, und sich dabei aufzusetzen ist von einiger Konsequenz und eine seltsame Sache. „Ich habe beschlossen, etwas zu werden.“ Dabei wäre es besser gewesen zu sagen, es wurde etwas Großartiges in meinem Namen beschlossen, und es scheint passend, ihr davon zu berichten, da sie ihn ja kennt. „Darum habe ich dich eingeladen.“ „Ich will …“ In der Pause, die sie einlegt, beginne ich wirklich und aufrichtig zuzuhören.
Es ist ein abgenutzter Aphorismus, zu sagen, der Mensch könne tun, was er will, aber nicht wollen, was er will. Aber würde es da enden, wären wir alle alleine. Die Anderen sind da, um das zu wollen, was wir nicht wollen können; deswegen lieben wir – ich sie. Ich liebe alles, was sie wollen; ich wünschte nur so sehr, ich könnte es wollen wie sie. Der Himmel ist das Wollen von Anderen. Das ist das Etwas, vielleicht das Einzige überhaupt.
Ich selbst bin nicht anders als die kreischenden Maden unter meiner Haut. Ein weilendes Etwas, das blind und stumm auf etwas starrt, was wirklich lebt. Ich lebe von den schwarzen, trockenen Körnern auf dem Boden meines Zimmers. Und ich will es noch nicht einmal anders – sie will es anders. Man könnte weinen, wie ungreifbar schön dieser Umstand ist. Es ist der Grund, nicht alleine in meiner Wohnung zu liegen. Und es wird mich das Leben kosten, das, was sie will, noch bevor sie sich mir mitteilt. Sie ist nichts für mich, teile ich ihr mit. Aber was sie will, ist alles für mich.
„… Dass du dir Hilfe suchst.“ Ich verlasse meine Wohnung, in der nichts ist und die leer und sauber ist, und beschließe, sie nie wieder zu betreten. Das wird für sie schwieriger als für mich. Es stört mich nicht, keine Kleidung zu tragen, als ich durch das Treppenhaus die Wohnung verlasse. Es wird Züge geben, die weit fahren, und es ist eine kleine Welt, mit wenigen Hindernissen. Ohne die Anderen ist das Leben bedeutungslos, und da ist nichts in meiner Wohnung.