Heil Hyperpop!

»Gott ist kein Mantra und keine fucking Frequenz in deinem Scheiß-Chakra. Gott ist Fetisch.« Auszug aus Sebastian Schwaerzels 'Heil Hyperpop'

Finde mittlerweile keine Kreditkarten mehr, bei denen ich noch nichts beantragt habe. Hab wieder angefangen zu trainieren und Gluten aus meiner Diät gestrichen.
Emma ruft mich seit ein paar Tagen immer wieder an und will mit mir reden. Nehme heute zum ersten Mal an und lege sogar nicht auf, als er erwähnt, er könnte mir einen Job bei seinem Vater besorgen, während er mir von seinem Buch erzählt.
Ich mache mir Sorgen um ihn. Er ist sowas wie mein bester Freund, und ich glaube, er verliert langsam die Kontrolle über sich selbst. Habe es eine Zeit lang als eine Phase abgetan, aber ich glaube, er meint es ernst mit der Schriftstellerei. Redet die ganze Zeit von einem tausendseiten Werk, das er schreiben will.
Hat mich einmal auf eine Buchmesse mitgenommen. Ich kann mir gerade beim besten Willen nichts Tragischeres vorstellen, als sei-ne Zwanziger mit sowas zu verschwenden.
Jeder bei diesen Messen redet vom Verfall der Literatur – schon seit 200 Jahren eigentlich. Ich kann schon nachvollziehen, sowas wie Trauer für eine sterbende Kunst zu emp-finden, aber Trauer über Jahrhunderte zu stretchen, wird irgendwann nichts anderes als Misanthropie.
Ich könnte diese Nostalgie von Emma entschuldigen, wenn sie nicht das Einzige wäre, was zwischen uns beiden stehen würde. Alles, was Emma kennt, ist das Heilige, das Verborgene, das Heilige im Verborgenen und das Verborgene im Heiligen.
Es gibt überhaupt nichts Heiliges im Verborgenen. Keine Theosis in der Stille. Meister Eckhart und Emma haben das nie verstanden. Gott ist laut, Gott ist Droge, und wenn es überhaupt irgendeinen Ort gibt, an dem Gott nicht zu finden ist, dann ist es der menschliche Geist in seinem endlos einsamen Onanieren.
Gott ist kein Mantra und keine fucking Frequenz in deinem Scheiß-Chakra, wie meine Ex glaubt.
Gott ist Fetisch.
Gnosis ist frontale Lobotomie.
Und dann 340 € Bußgeld wegen Nötigung. 🙁 Und dass ich dem Gericht Besserung gelobe, meine ich an der Stelle sogar ernst. War eine wirklich behinderte Idee.
Zu meiner Verteidigung: Ich war mir sicher, ich hätte mir jemanden rausgesucht, der nicht zur Polizei gehen würde. War mir sogar ziemlich sicher, dieser Typ könnte gar nicht zur Polizei gehen.
Es klingt vielleicht dämlich, einen Dealer ausrauben zu wollen, vor allem wenn es nicht mal dein eigener ist. Aber dem Plan nach hätte es überhaupt nicht so ausgehen müssen. Das Einzige, was ich wirklich wollte, war, mir ein paar Feinde zu machen.
Das Problem ist: Solange du in deinem Job, deiner Mietwohnung und dem ganzen Mist feststeckst, bewegt sich alles nur zentimeterweise. Kapitalismus auf Stützrädern. Der Markt war aber nie dazu gedacht, legal oder gar gesetzlich geregelt zu sein.
Wenn ich also sage, ich will mir ein paar Feinde machen, um einen Einbruch zu provo-zieren und den Diebstahl der Versicherung zu melden und dann im Anschluss mir von einem anderen Dealer, der davon gehört hat, ein paar Tausend leihen will, ist das eine legitime Geschäftsstrategie.
Läuft nur deshalb nicht so Tarantinoesque, weil ich dabei eben an irgendeinen Pisser geraten bin, der sich neben dem Studium was dazuverdienen will und mehr als bereit war, mit den Behörden zu arbeiten.
Trotzdem, für einen Moment muss ich mich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, unplanmäßig den Stiefel nie zu Gesicht zu bekommen.
Per “Pelle” Ohlin hat mal Folgendes gesagt:

„To give some semblance of an explanation I’m not a human, this is just a dream and soon I will wake. It was too cold and the blood kept clotting, plus the new knife is too dull. If I don’t succeed dying to the knife I will blow all the shit out of my skull. Yet I do not know. I left all my lyrics by ‚Let the good times roll’—plus the rest of the money. Whoever finds it gets the fucking thing. As a last salutation may I pre-sent ‚Life Eternal‘. Do whatever you want with it. / Pelle. I didn’t come up with this now, but seventeen years ago.“

Nach ein paar Jahren verdammt beschissener Texte für ein noch beschisseneres Metal-Subgenre, nimmt sich Per ein Jagdmesser und drückt es sich in den Unterarm. Er versucht sich für die nächsten paar Sekunden daran zu erinnern, dass der Reflex, der seine Muskulatur zurückhält, nur in einem Teil seines Verstandes existiert, über den er die komplette Kontrolle hat.
Ihm wird zunehmend bewusst, dass sich der kleine weiße Riss an seinem Arm nur langsam bis zu seinen Handgelenken zieht und noch langsamer mit Blut füllt. Der Unterschied zwischen dem hier und jeder Mord-fantasie ist der, dass es keinen Punkt gibt, an dem sein Instinkt die Arbeit übernimmt.
Jeden Schritt des Weges betäubt der mühsame Aufwand von reinem, verkatertem Willen. Jeder poetische Gedanke, von dem er sich wünschen würde, er solle jetzt gerade über ihn kommen, erstickt.
Es gibt keine Katharsis. Eine Lektion, die jeder Flagellant sich peinlich spät eingestehen muss.
Selbst nachdem ein unterwältigender halber Liter Blut erkämpft ist, überwältigt ihn die Firewall seines Organismus, der ihn in seinen 40ern in Talkshows und Interviews zu den Anfängen der Black-Metal-Szene in Norwegen zwingen will.
Der einzige Sieg, der bis dahin errungen wurde, ist ein von Scham gerührter Trotz, der jeden Rückzug unmöglich macht. Und trotzdem – was wurde bewiesen, außer die abstoßende Schwäche von Poesie über das Fleisch?
In Silicon Valley wird man irgendwann und nach und nach offenkundiger den Schluss bekannt geben, dass der Tod nur ein technisches Problem sei.
Diese Wichser sollten lieber sagen, dass der Überlebenstrieb eine reine technologische Hürde auf dem Weg zur Gnosis ist.
Es ist nicht Blut, nicht die fucking norwegischen Wälder oder irgendwelche kitschigen Songtexte, die Pelle erleuchten. Auch nicht seine Nahtoderfahrung als Kind.
Es ist der einfache Mechanismus einer norwegischen Schrotflinte. Ein Hammer, der den Schwefel in der Kammer zum Glühen bringt und 16 Kaliber glänzendes Taborlicht zwischen seine Lippen fließen lässt und absolut nichts zurücklässt – außer das Unwissen darüber, was für ein unerträglicher, selbstgerechter Wichser er später geworden wäre.

“Nachdem meine Haut so zerschlagen ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen.
Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder.”
Hiob 19:26-27


Auszug aus: Sebastian Schwaerzel – Heil Hyperpop – Edition Acéphale, 2025

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